Perspektiven Afrikas – Weltliteratur auf Gĩkũyũ – Ngũgĩ wa Thiong’o im Gespräch mit dem Anglisten Mark Stein

Freitag, 15. Juni 2018, 19.00 Uhr
Bezirksregierung, Freiherr-von-Vincke-Haus, Domplatz 36, Münster


Mit Andreas Ladwig (Achtung: Hier gab es eine Änderung; Andreas Ladwig wird anstelle von Markus von Hagen die deutschen Texte lesen), der die deutschen Texte liest und Musik von Mamadou Diabaté & Band.

Er ist zweifellos einer der bedeutendsten afrikanischen Schriftsteller, produktivsten Literaturwissenschaftler und anregendsten Intellektuellen: Ngũgĩ wa Thiong’o. Sein Lebensthema bleibt, was bei seiner Biografie nicht verwundert - die Sprache. Und seine Sprache heißt Gĩkũyũ, sie steht für die unterdrückten Sprachen der Welt.

Als Ngũgĩ wa Thiong’o in den 1940er-Jahren im kenianischen Limuru in die Schule ging, beherrschte das Britische Empire noch große Teile Afrikas. Kenia war eine "Kronkolonie", die in den Zeiten Weltkrieg hineingezogen wurde. Großbritannien beherrschte Politik, Wirtschaft und Kultur. Die Sprache der Macht war Englisch. Es wurde in der Verwaltung, den Büros und in der Schule gesprochen. Ngũgĩ wa Thiong’o erlebte, wie seine Muttersprache Gĩkũyũ im Unterricht verboten, auf den Schulhöfen verpönt, ja, unterdrückt war. Nur in der Familie oder unter Freunden und Bekannten verständigten sich etwa fünf Millionen Kenianer*innen mit dieser Sprache.

Als Ngũgĩ wa Thiong’o in den 1960er-Jahren am ugandischen Makarere University College studierte, führten die Weltmächte den Kalten Krieg und sicherten ihre Einflusszonen. Die afrikanischen Befreiungsbewegungen hatten für Kenia gerade die Unabhängigkeit erkämpft. Aber wie andere junge Staaten auch, hing es politisch, wirtschaftlich und auch kulturell an vielen Fäden, die sich in London oder Washington verknoteten. Und die Eliten, die in England oder Frankreich studiert hatten, beließen die Kolonialsprachen in ihrer Vormachtstellung. Auch Ngũgĩ wa Thiong’o veröffentlichte 1964 seinen ersten Roman Weep not Child auf Englisch. Die afrikanischen Muttersprachen galten und gelten nicht viel, das kulturelle Gift des Kolonialismus wirkt bis heute.

Ngũgĩ wa Thiong’o erkannte, dass die Macht der Sprache sehr weit reicht. Er analysierte die geistigen Folgen des europäischen Kolonialismus, der Unterdrückung der Sprachen Afrikas und die damit einhergehende Zerstörung von Kulturen und kam zu dem Schluss:

„Die Gewehrkugel war Mittel der physischen Unterwerfung. Die Sprache war Werkzeug der geistigen Unterwerfung.“

© Daniel Anderson
Ngũgĩ wa Thiong’o wird die Sprache zu einem Werkzeug der geistigen Befreiung machen. Die afrikanischen Sprachen sollen Schule und Universität erobern, in Wissenschaft und Literatur ein wesentliches Mittel zur Befreiung von kolonialen Denkstrukturen darstellen. Seine 1986 erschienene Essaysammlung Decolonising the Mind wurde zum Klassiker postkolonialen Denkens in Afrika. Drei Jahrzehnte später erschien das Buch endlich in deutscher Sprache – angeregt von der Afrika Kooperative e.V. Münster. Es wurde vom Unrast Verlag, Münster, publiziert, der gleichzeitig die zweite Auflage der Essaysammlung Moving the Centre von Ngũgĩ wa Thiong’o herausbrachte.
Für seine Auffassungen wurde Ngũgĩ wa Thiong’o in Kenia ein Jahr ins Gefängnis geworfen. Hinter Gittern entschied er sich, seine literarischen Texte von nun an in seiner Muttersprache Gĩkũyũ zu schreiben. Schreibpapier fehlte, deshalb kritzelte er seinen Roman Caitani Mutharabaini (dt. Freiheit mit gesenktem Kopf) auf Toilettenpapier.

Ngũgĩ wa Thiong’o nahm für seine klare Haltung Gefängnis und Folter in Kauf. Nach seiner Entlassung ging er nach England ins Exil und wanderte dann in die Vereinigten Staaten ein. Dort lehrte er an verschiedenen Universitäten und entwickelte sich zu einem bedeutenden Schriftsteller und Literaturwissenschaftler, der auch politisch Position bezieht.
Im Gespräch mit Mark Stein erzählt Ngũgĩ wa Thiong’o, wie er wurde, was er ist: ein international anerkannter Autor und ein Hoffnungsträger für afrikanische Freiheitsbestrebungen. Andreas Ladwig wird ausgewählte literarische und theoretische Texte lesen. Der Balafonist Mamadou Diabate (Burkina Faso) wird mit seiner Band den Abend musikalisch begleiten.

Ngũgĩ wa Thiong’o wurde 1938 in Kenia geboren. Nach dem Besuch einer Missionsschule studierte er am Makerere University College in Kampala, Uganda und an der University of Leeds in Großbritannien. 1977 wurde er in Kenia wegen eines Theaterstücks ohne Anklage für ein Jahr inhaftiert. 1982 musste er sein Heimatland verlassen, ging zunächst ins Exil nach London und schließlich in die USA. Ngũgĩ wa Thiong’o lebt in Kalifornien, wo er an der University of California in Irvine lehrt. Zuletzt erschienen von ihm auf Deutsch der Roman Herr der Krähen, die autobiografischen Werke Träume in Zeiten des Krieges, Im Haus des Hüters, Geburt eines Traumwebers (alle A1 Verlag) und die Essaysammlung Dekolonisierung des Denkens (Unrast Verlag, Münster).

Prof. Dr. Mark Stein ist Anglist, Literatur- und Kulturwissenschaftler. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für English, Postcolonial and Media Studies am Englischen Seminar des Fachbereichs Philologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Diaspora, Transmigration, Transnationalismus, Postkolonialismus, African European Studies sowie Kultur- und Literaturtheorien.

Eintritt: 8 € / erm. 4 € (Vorverkauf Rosta Buchladen, Aegidiistraße 12 und Buchhandlung Wunderkasten, Rüschhausweg 6)